Manchmal, wenn der Wind besonders dicke Backen machte, hörte Karsten im Schlaf das Geplätscher der Wellen. Der kleine Bruder des Rheins gab sich meist träge, nur selten streckte und reckte er sich im Frühjahr, überflutete die Ufer und setzte den Mainkai unter Wasser. Aber bei starkem Wind warf er Wellen, plätscherte, flüsterte und raunte Flussgeschichten in Karstens Träume. So wie heute.
Nur, dass in dieser Nacht kein Wind wehte – nicht mal das spärliche Schilfgras, in dem der Teichrohrsänger sein Nest eingerichtet hatte, bewegte sich. Die Wellen in Karstens Traum plätscherten auch nicht wirklich, sondern knisterten und knackten. Er wälzte sich im Schlaf, die Nacht war viel zu warm, sommerlich, die Bettdecke noch dem Winter geschuldet, er schwitzte, stritt sich im Traum mit Tatja, brüllte und flehte sie an, das uralte Radio seines Großvaters, breit wie ein Fernseher, rauschte, knisterte und knackte, bis Funken sprühten und die Röhren durchschmorten. Geruch nach Gummi und Rauch. Nein, das war definitiv kein Plätschern.
Karsten kämpfte sich aus den Laken, taumelte auf den Lichtschein zu, der vor seinem Fenster flackerte. Schlaftrunken riss er es auf, hustete Rauch, glotzte ungläubig: Die Strandfurt brannte. So hell, dass Karsten die Augen zusammenkneifen musste, so laut, dass er auch die Ohren schließen wollte. Im Innern seines Lebensinhalts zersprang etwas mit einem Knall, Kanister explodierten, es brüllte und zischte böse. Karsten Bartsch stand ungläubig und steinern am Fenster und starrte auf das Inferno. Spürte den Rauch in seinem Hals so wenig wie die Tränen in den Augen.
»Spotti«, stöhnte er.
Karsten Bartsch riss sich los, stürzte die Treppe hinunter, am Scheunenanbau vorbei nach draußen. Geschlafen hatte er in seiner Jeans, eine Tablo-Vorsichtsmaßnahme von vielen, aber in T-Shirt und Schuhe schlüpfte er nicht. Barfuß, mit nacktem Oberkörper und genauso nackter Angst im Gesicht rannte er zur Strandfurt hinüber, die sich in den feuerknisternden Kamin eines Riesen verwandelt hatte. Er rannte, bis die Hitze ihm mit heißen Fäusten ins Gesicht schlug, bis Haarspitzen und Augenbrauen verschmorten.
»Spotti!«, brüllte er und atmete scharfen Rauch. »Spotti!« Atmete kochend schweren, vergärenden Apfelwein. »SPOTTI!« Atmete verbranntes Plastik, würziges Holz voller Harz und die Verzweiflung seiner Alkis und Junkies. Beide Hände schützend vor dem Gesicht, die Kehle rau, schrie Karsten nach seinem Freund. Das Feuer prasselte wie Sturmregen, aus der brennenden Strandfurt klang gequältes Stöhnen und Ächzen, wenn hier eine Wand nachgab oder dort eine Decke zusammenfiel. Die Fenster waren schon längst geborsten.
Karsten sackte nach vorne, kippte auf die Knie. Zu viel, dachte er. Zu viel, zu viel. Ein irres Mantra in seinem Kopf, wahnsinnig wie das Feuer, das ihm seine Flammenzunge zeigte und mit Hitzefingern nach ihm fasste.
»Zu viel«, murmelte Karsten Bartsch, als die Furt mit einem letzten, feurigen Aufbäumen in sich zusammenstürzte.
***
Die schönste Trinkhalle der Welt ...
Ich gebe es gerne zu: Das legendäre Orange Beach, Frankfurts schönster Biergarten am Main, war Vorbild für Karsten Bartschs Strandfurt, seine Kneipe, Lebenswerk und Therapiezentrum für alle Gestrandeten und Gestrauchelten. Und ja, der ausgewählte dramatische Textabschnitt ist eine Parallele zur Realität, deren brutale Sinnlosigkeit in seinem ganzen Ausmaß gar nicht zwischen zwei Buchdeckel passt. Umso erfreulicher, dass es sowohl im Kriminalroman als auch in Echt ein Happy-End, ein „Jetzt-erst-recht“ gibt.
Wer den Schauplatz live erleben möchte, der findet hier weitere Informationen und Bilder:
https://www.orangebeach-frankfurt.de/galerie/
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